Ein Projekt des IVT, ETH Zürich und WWZ, Universität Basel
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Kontakt: Joseph Molloy (joseph.molloy@ivt.baug.ethz.ch)
Frühere und zukünftige Berichte finden Sie unter: https://ivtmobis.ethz.ch/mobis/covid19
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Am 16. März 2020 wurden 3700 Teilnehmer, die zwischen September 2019 und Januar 2020 an der MOBIS-Studie teilgenommen haben, eingeladen, die von MotionTag entwickelte Smartphone-App “Catch-My-Day” erneut zu installieren. Die freiwillige Aufzeichnung ihres Mobilitätsverhaltens ermöglichte es uns, die Auswirkungen der verschiedenen Massnahmen während der Pandemie zu verfolgen. Fast ein Jahr später dauert die Pandemie noch immer an und viele Teilnehmer sind immer noch Teil der Studie.
Bis zum Start der zweiten COVID19-Welle im Herbst 2020 verringerte sich die Teilnehmerzahl von ca. 1’300 auf 500 - aus guten Gründen, wie z.B. ein neues Smartphone, Betriebssystem-Updates und so weiter. Etwa 250 Teilnehmer sind nach einer zweiten Einladung im Oktober 2020 wieder zum Panel zurückgekehrt. Wir sind sehr dankbar für ihr Engagement. Dennoch haben wir gerne zugestimmt, als das LINK Institut uns anbot, weitere Teilnehmer für das Panel zu rekrutieren. Diese weitere Vergrösserung unserer Stichprobe ermöglicht es uns, den bestehenden Kern zu ergänzen. Bis Mitte Januar 2021 haben sich insgesamt 393 zusätzliche Teilnehmer über LINK angemeldet.
Der Bericht dieser Woche ist der erste, welcher auf der neuen Stichprobe basiert.
Die Ergebnisse werden mit den Mobilitätsdaten der ersten vier Wochen aus der ursprünglichen MOBIS-Studie dargestellt, die zwischen dem 1. September und dem 15. November 2019 erfasst wurden und somit als Baseline dienen, lange bevor die Pandemie die Schweiz erreichte. Diese vier Wochen sind über einen längeren Zeitraum verteilt, da die Stichprobe sukzessive in Wellen aufgebaut wurde. Derzeit werden nur Reisen innerhalb der Schweiz berücksichtigt, obwohl auch Daten zu grenzüberschreitenden Reisen verfügbar sind. Für die MOBIS-Studie kamen nur Teilnehmer in Frage, die an mindestens drei Tagen pro Woche ein Auto benutzten - was die Stichprobe etwas verzerrt gegenüber der Schweizer Allgemeinbevölkerung. Wir haben keine ähnliche Bedingung für die vom LINK Institut rekrutierten Teilnehmer aufgestellt, weil eine repräsentativere Stichprobe der Bevölkerung anstreben.
Die Anzahl der Tracking-Teilnehmer an jedem Tag, die zur Berechnung der durchschnittlichen Tageswerte verwendet wird, schliesst alle Teilnehmer ein, die vor oder nach diesem Tag Wege aufgezeichnet haben und entspricht einem rollenden Verfahren. Dies ermöglicht die Berücksichtigung von Teilnehmern, die zu Hause bleiben, und erlaubt gleichzeitig die Berücksichtigung von Personen, welche sich von der Studie abgemeldet haben.
Das GPS-Reisetagebuch “Catch-My-Day” (für iOS und Android) kann eine Verzögerung von 2-3 Tagen aufweisen, bevor die Tracks (aufgezeichnete Wege) für die Analyse verfügbar sind. Die Gewichtung nach aktiven Teilnehmern trägt dem Rechnung, kann die Ergebnisse früherer Berichte aber ändern, wenn der Bericht aktualisiert wird. Die Gewichtung wird anhand der repräsentativen Stichprobe berechnet, die wir im Rahmen des MOBIS-Rekrutierungsprozesses erhalten haben.
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Die folgende Abbildung zeigt die Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die mittlere Reisegeschwindigkeit von Autos während der Woche, d.h. ohne Wochenenden und Feiertage. Während der Lockdown-Periode vom 16. März bis zum 11. Mai wurde ein Anstieg der Geschwindigkeiten in den Spitzenstunden beobachtet, was auf einen Rückgang der Gesamtüberlastung hinweist. Seit der Lockerung der Massnahmen sind die Geschwindigkeiten in der Spitzenstunde wieder auf die Werte vor dem COVID-19 zurückgekehrt, ein Zeichen dafür, dass die Staus wieder auf das übliche Niveau zurückgekehrt sind.
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Ein Dreiecksdiagramm ist die grafische Darstellung von Tripletts numerischer Daten. Er eignet sich zur Darstellung einer konstanten Summe, die in drei Summanden zerlegt wird. Die folgende Abbildung zeigt ein Beispiel für ein solches Diagramm mit einem einzelnen Punkt. Das diesem Punkt entsprechende Triplett kann gelesen werden, indem man den grünen Linien folgt: A=0.5, B=0.3 und C=0.2. Die Summe der drei Werte ist gleich 1.
Die folgenden Dreiecksgrafiken zeigen die Veränderung der Verkehrsmittelanteile im Verlauf der COVID-19-Krise für verschiedene ÖV-Abonnements (GA, Halbtax und andere). Die Verkehrsmittel sind in die folgenden Kategorien eingeteilt:
Während der Sperrung wurde im Vergleich zur Referenzperiode ein höherer Anteil der Kilometer und Fahrten mit motorisierten individuellen und unmotorisierten Verkehrsmitteln zurückgelegt. Nach dem Lockdown hat der Anteil des öffentlichen Verkehrs zugenommen und der Anteil der unmotorisierten Verkehrsmittel ist zurückgegangen, beides leicht. Der Anteil des motorisierten Individualverkehrs ist immer noch höher als in der Referenzperiode.
Die Teilnehmer/innen von MOBIS-Covid19 wurden gebeten, am 24.4.2020 über ihren Arbeitsstand zu berichten. In den folgenden Diagrammen werden diese Ergebnisse verwendet, wobei für diejenigen, die nicht geantwortet haben, der Arbeitsstatus anhand soziodemografischer Indikatoren imputiert wurde. Wir fragten insbesondere nach der Anzahl der Tage, an denen sowohl zu Hause als auch ausser Haus gearbeitet wurde, und diese wurden dann in die unten verwendeten Kategorien gruppiert:
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Eine häufig verwendete Definition des Aktivitätsraums ist die 95%-Vertrauensellipse der Aktivitätsorte, in diesem Fall gewichtet nach Dauer. In der folgenden Analyse werden die Aktivitäten am Heimatort einbezogen, für diejenigen, bei denen die App an diesem Tag aktiviert war. Dies ist eine wichtige Metrik, die eine Vorstellung von dem Gebiet vermittelt, in dem die Reise durchgeführt wird. Der tägliche Reiseradius wird ebenfalls dargestellt.
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Die Anzahl der begonnenen Fahrten pro Stunde. Die y-Achse wird durch den maximalen Stundenwert in der Grafik normalisiert.
Eine erste Analyse aus der Umfrage zur Risikowahrnehmung im Falle einer COVID-19 Infektion zeigt, dass es Unterschiede bei der Einschätzung der Infektionssymptome für die Teilnehmer selber und für die Schweizer Bevölkerung gibt. Das Risiko für schwere, nur im Spital kurierbare und tödliche Symptome wird von den Teilnehmern für sich selber etwas tiefer bewertet als für die Schweizer Bevölkerung. Männer und Frauen überschätzen die Todesfallwahrscheinlichkeit vermutlich, in dem sie den «asymptomatischen» Verlauf nicht sehr stark erwarten. Während sich die Medianwerte für die verschiedenen Symptomkategorien zwischen Männern und Frauen nicht gross unterscheiden, zeigen sich bei Männern etwas grössere Wertebereiche als bei den Frauen.
Die folgenden Abbildungen zeigen die Kennzahlen der Stichprobe MOBIS:COVID-19 im Vergleich zur originalen MOBIS-Stichprobe. Es gibt einige kleine Unterschiede, aber im Allgemeinen sind die Stichproben konsistent. Dieses Abbildung wird zum Vergleich mit den relevanten Zensusdaten erweitert.
N | % | N | % | N | % | |
---|---|---|---|---|---|---|
Aargau | 125 | 5.8 | 61 | 6.9 | 4,325 | 7.6 |
Andere | 15 | 0.7 | 16 | 1.8 | 5,819 | 10.2 |
Basel-Landschaft | 207 | 9.5 | 69 | 7.8 | 1,940 | 3.4 |
Basel-Stadt | 51 | 2.4 | 22 | 2.5 | 1,555 | 2.7 |
Bern | 248 | 11.4 | 119 | 13.4 | 7,244 | 12.7 |
Freiburg | 29 | 1.3 | 14 | 1.6 | 1,942 | 3.4 |
Genf | 142 | 6.5 | 45 | 5.1 | 3,062 | 5.4 |
Graubünden | 12 | 0.6 | 8 | 0.9 | 1,385 | 2.4 |
Luzern | 35 | 1.6 | 29 | 3.3 | 2,658 | 4.7 |
Neuchâtel | 15 | 0.7 | 11 | 1.2 |
|
|
Schaffhausen | 6 | 0.3 |
|
|
560 | 1.0 |
Schwyz | 28 | 1.3 | 15 | 1.7 | 1,005 | 1.8 |
Solothurn | 38 | 1.8 | 21 | 2.4 | 1,813 | 3.2 |
St. Gallen | 40 | 1.8 | 21 | 2.4 | 3,286 | 5.8 |
Thurgau | 15 | 0.7 | 12 | 1.4 | 1,799 | 3.2 |
Valais | 22 | 1.0 | 11 | 1.2 | 2,172 | 3.8 |
Waadt | 332 | 15.3 | 97 | 11.0 | 5,303 | 9.3 |
Zug | 14 | 0.6 | 8 | 0.9 | 812 | 1.4 |
Zürich | 780 | 36.0 | 298 | 33.7 | 10,410 | 18.2 |
Um der sich über die Zeit verändernden Grösse und Zusammensetzung der Stichprobe Rechnung zu tragen, wurden für jede Woche der MOBIS-Covid19-Studie (einschliesslich der Wochen in der Basisperiode) Teilnehmergewichte berechnet und angewendet. Daher werden die Ergebnisse für die Wochen korrigiert, in denen mehr Teilnehmer aus einer bestimmten demographischen Gruppe mit dem Tracking begonnen oder aufgehört haben. Die Gewichtung wurde anhand der ursprünglich 21.571 Teilnehmer vorgenommen, die den Einführungsfragebogen der MOBIS-Studie ausgefüllt haben, und basiert auf einem IPF-Algorithmus (Iterative Proportional Fitting) unter Verwendung der folgenden Variablen: Alter, Geschlecht, Einkommen, Bildung, Erreichbarkeit sowie der Besitz von Mobilitätswerkzeugen wie Auto, Fahrrad und ÖV-Ticket. Die Gewichtung der Daten führte zu keinen grossen Veränderungen in den Ergebnissen.
Seit dem Beginn der MOBIS:COVID-19-Tracking-Studie im Frühjahr 2020 wurden bis zum 2021-02-22 1,011,813 Personenwege erfasst. Die Studie beinhaltet zudem drei kleine Umfragen zur Arbeitssituation und zum Gesundheitszustand der Teilnehmer. Es haben während der Laufzeit maximal 1,370 und durchschnittlich 811 Personen teilgenommen. Wir verwenden die Smartphone-App Catch-my-Day, welche auf der Technologie von MotionTag basiert. Die Stichprobe ist sozio-demografisch vergleichbar mit dem letzten schweizweiten Mikrozensus Mobilität und Verkehr 2015, jedoch leicht verzerrt zu einkommensstärkeren und besser ausgebildeten Männern, die ein General/Verbunds-Abonnement besitzen. Die dichter besiedelten deutsch- und französischsprachigen Teile des Landes sind in unserer Stichprobe ebenfalls etwas überrepräsentiert. Die Schlussfolgerungen beruhen auf gewichteten Ergebnissen, die sicherstellen, dass diese Stichprobe mit der jener von rund 20.000 eingeladenen Personen in der ursprünglichen MOBIS-Studie übereinstimmt. Die Gewichte werden auf der Grundlage von Alter, Geschlecht, Bildung, Einkommen, Besitz von Mobilitätswerkzeugen (Besitz von Fahrzeugen sowie ÖV-Tickets) und der Erreichbarkeit des Wohnorts einer Person berechnet.
Unsere Studie ist nicht die einzige Quelle für die Schweiz, welche die Auswirkungen der Pandemie und der zu ihrer Eindämmung ergriffenen Massnahmen aufzeichnet und analysiert. Das Intervista-Panel wird von verschiedenen Bundesämtern finanziert. Die Google-Daten haben den Vorteil, dass sie weltweit verfügbar sind, aber nur aggregiert ausgewiesen werden und keine sozio-demografische Angaben berücksichtigen. Wir können deshalb auf eine detailliertere Selbstbeschreibung der Teilnehmer anhand ihrer sozio-demografie Angaben und ihrer Einstellungen zurückgreifen.
Die Ergebnisse konzentrieren sich auf die fortschreitende Akzeptanz von “Working from Home (WFH)”, oder auf Deutsch “Home-Office”, und die modale Verlagerung bei der Erholung des Reisevolumens sowie der zurückgelegten Kilometer. Ebenso wichtig ist die vergleichsweise viel geringere soziale Selektivität der Ausirkungen in der Schweiz. Der Anteil der aktiven, respektive mobilen Tage, zeigt die Antizipation des Lockdowns und dann die Erholung und Stabilisierung auf etwa 80% des ursprünglichen Levels im August 2020. Das liegt deutlich unter dem Anteil von 90+%, den man erwarten kann (Madre et al., 2007). Dieser geringere Anteil ist vermutlich auf eine Mischung aus Home-Office, Kurzarbeit oder neu arbeitslos gewordenen Personen zurückzuführen. Wir wissen noch nicht, wie Firmen mit dem Home-Office in den kommenden Wochen nach dem Ende der aktuellen Massnahmen umgehen werden. Es gibt prominente Ankündigungen von Firmen, die ihre Mitarbeiter nicht ins Büro zurückrufen werden (z.B. Facebook, Twitter, PSA), aber ebenso prominente, die ihre Angestellten zurückbeordern werden (z.B. Stadler). Diese unterdrückte Nachfrage würde, wenn sie mobilisiert wird, auf ein Strassennetz treffen, in dem die Durchschnittsgeschwindigkeiten wieder auf dem Niveau von vor der Pandemie liegen - Bedingungen, die zu vermehrten Staus führen könnten. Die Geschwindigkeiten erklären sich aus den geringen Anteilen des öffentlichen Verkehrs und einer unveränderten Entfernung für Personen, die mit dem Auto unterwegs sind.
Die Bevölkerung hat sich von den platzsparenden Grossfahrzeugen abgewandt, da Busse, Trams und Züge weiterhin unbeliebt sind. Deren Nutzung liegt zwischen 40% und 60% verglichen mit der Anzahl Fahrten von 2019, nachdem der öffentliche Verkehr in den ersten Wochen des Lockdowns fast vollständig vermieden wurde. Im Durchschnitt hat sich der Autoverkehr vollständig erholt. Auch das Zu-Fuss-Gehen hat sich vollständig erholt. Es ist erwähnenswert, dass das Wege zu Fuss nie in gleichem Masse gesunken sind wie jene mit anderen Verkehrsmitteln. Die Überraschung war und ist die erhöhte Fahrradnutzung, die durch einen Boom bei der Anschaffung von Fahrrädern in den Schönwettermonaten unterstützt wird. Während der Anstieg anfangs vor allem ein Fitness- und Freizeitboom zu sein schien, hat eine aktuelle Imputation der Fahrtzwecke gezeigt, dass das Fahrrad für alle Zwecke zulegte, wobei Freizeit und Einkaufen die prominentesten waren. Auch der Arbeitsweg mit dem Fahrrad hat zugenommen, allerdings nicht so stark (ca. 40% gegenüber 60-80% für die anderen Zwecke). Die neue Freiheit in der Zeiteinteilung zeigt sich im Radfahren für die Freizeit während des Tages. Regressionsbasierte Analysen (demnächst Teil dieses Berichts) zeigen, dass die Verschiebungen der Verkehrsmittelwahl nicht durch das Wetter getrieben sind. Die Ergebnisse sind qualitativ ähnlich, wenn man für Temperatur und Niederschlag kontrolliert.
Schliesslich bestätigen die Erfahrungen während der COVID-19 Pandemie die Ergebnisse früherer Experimente (Pendyala et al., 1991). Diese hatten gezeigt, dass sich die Anzahl zurückgelegter Kilometer nicht verringert, da die Personen die frei gewordene Zeit für andere Fahrten nutzten. Hier folgen Personen in Kurzarbeit dem Trend und reisen tatsächlich etwas mehr als die anderen. Leute im Home-Office reisen zwar weniger als solche, die zu ihren Arbeitsplätzen fahren müssen. Der Unterschied ist allerdings nicht so gross, wie man erwarten würde.
Die Integration der neuen, von LINK rekrutierten Teilnehmer hat die bis dahin beobachteten Trends nicht verändert. Dies unterstreicht die allgemeine Qualität der Studie und ihrer Stichprobe.
Referenzen:
Madre, J.-L., K.W. Axhausen and W. Brög (2007) Immobility in travel diary surveys, Transportation, 34 (1) 107-128.
Pendyala, R.M., Goulias, K.G. and R. Kitamura (1991) Impact of telecommuting on spatial and temporal patterns of household travel, Transportation, 18 (4) 383-409.